Blick aus der Zukunft

Bäckerei

„Wir wollen nun zur Besichtigung der Bäckerei aufbrechen.“ Die organisatorischen Ansagen durch das Mikrofon riefen die Besucher aus der Mittagspause.
„Der Fahrradkorso wird vorn und hinten zur Sicherheit von der Freiwilligen Feuerwehr Grebin eskortiert. Bitte bleiben Sie beisammen. Und denken Sie daran: wir machen keine Wettfahrt, es soll keine Stürze geben!“

Ich war ja zu Fuß, Torsten und Silke schoben ihr Rad neben mir her.
Die Bäckerei war in einem der Häuser von „Gut Wohnen in Grebin“ am Mühlenberg untergebracht.
„Sehr viele Häuser am Mühlenberg haben ein Souterrain wegen der Hanglage oder es ist gleich die Garage dort eingezogen“ erklärte ich. „Da durch unser Carsharing-Modell weniger Autos nötig sind, blieben ein paar Garagen verwaist.“
Eine solche wurde hell und sauber ausgestattet als kleine, aber voll funktionsfähige Bäckerei. Wir wurden erwartet von drei Mitgliedern des Backteams. 
„Bitte bleiben Sie zunächst draußen, hier drinnen ist zu wenig Platz für alle. Sie können sicher durch die Fenster ausreichend sehen.“
Toll, wer hatte sich das denn ausgedacht? Es ist doch von vornherein klar, dass ein „möblierter“ Raum von geschätzt 18 Quadratmetern kein guter Ort für eine Besichtigung ist.
Aber zu sehen gabs schon draußen etwas: Tische mit verschiedenen Backwaren zur Anschauung und Verkostung waren aufgebaut. Und das sah köstlich aus. Grüppchen von je fünf Personen wechselten sich drinnen ab.
„In der Ecke dort ist das Lager für das Getreide. Wir beziehen es von einem unserer Landwirte. Wir verarbeiten vor allem Weizen, Dinkel und Roggen. Es wird in der Mühle daneben gemahlen bzw. geschrotet. Das ganze Korn mit seinen Wertstoffen ist viel besser lagerfähig als geschrotet.“ 
Sie machte ein Handzeichen und wir gingen alle ein paar Schritte zur Seite.
„Hier sehen Sie die Teig-Knetmaschine. Der fertige Teig landet auf dieser Arbeitsfläche, wird ausgewogen, geformt und dekoriert. Schließlich …“ - sie machte wieder ihr Handzeichen – „werden die Teiglinge in den Ofen dort geschoben. Nach dem Backen kommen sie zum Auskühlen auf diese Holzregale.“
„Bieten Sie auch glutenfreies Brot an?“ fragte jemand.
„Nein, das können wir nicht leisten. Wir könnten niemals garantieren, dass sich in diesem kleinen Raum nicht versehentlich Zutaten vermischen. Da sind ja schon kleinste Mengen von Bedeutung. Im Übrigen wollen wir vor allem hier angebautes Getreide verarbeiten. Und Reis ist nun mal nicht von hier.“
„Und in dieser Backstube verkaufen Sie also das Brot?“ Die Dame schaute sich etwas ungläubig um.
„Nein, wir verkaufen nicht an Laufkundschaft wie eine normale Bäckerei. Wir haben feste Vorbestellungen unserer Mitglieder. Die fertigen Backwaren werden zum Dorfladen gebracht und dort bereit gelegt. Jeweils ab Mittag unserer drei Backtage holen die Mitglieder sie ab.“
„Oh, dann kann ich also kein frisches Frühstücksbrötchen bekommen?“ Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Leider nein, das wären eher Mittagsbrötchen. Aber man kann einfach die vom Vortag aufbacken, die sind noch super!“
„Aber warum bieten Sie die denn nicht an?“
„Weil wir nicht um drei Uhr morgens hier schon in der Backstube sein wollen. Wir haben doch auch unsere Familie und Kinder.“ 
„Und warum können nur Mitglieder etwas bekommen?“
„Sie finanzieren diese Bäckerei und übernehmen Verantwortung. Einfache Kunden tun das nicht, denn sie gehen keinerlei Verpflichtungen ein. Wer möchte, kann ja Mitglied werden.“
Eine andere Frau des Backteams fügte hinzu: „Wenn wir regulär an jedermann verkaufen wollten, müssten wir zahlreiche Vorschriften erfüllen bis hin zu einem Meister. Aber so ist es wie eine erweiterte Nachbarschaftshilfe. Wir sind ja selbst auch keine Bäckerinnen.“
Das Gespräch war lebhaft und hatte sich längst nach draußen verlagert, wo die anderen Besucher sich beteiligen konnten. Sie erfuhren, dass das Backteam sich aus Mitgliedern zusammensetzte, die jeweils an unterschiedlichen Tagen die Arbeit machten. An der Brotsorte konnte man schon erkennen, wer diesmal gebacken hat. Ab und zu kamen neue hinzu und wurden eingearbeitet.
Alle arbeiteten sie unentgeltlich. Sie durften sich dafür im Dorfladen kostenlos bedienen. So entstanden nur geringe Kosten.

Wir machten uns auf den Rückweg zum Gemeinschaftshaus.
„Na, Silke, hättest du nicht auch mal Lust als Dorfbäckerin?“ fragte ich sie.
Sie wusste nicht recht, was sie antworten sollte. Die Theorie war ja gut und schön, aber jetzt so konkret, sie selbst … ? 
„Ich habe das doch nie gelernt“ wehrte sie erstmal ab.
„Na klar, das hast du mit uns gemein. Aber man staunt manchmal, welche Fähigkeiten in einem stecken.“
Nach kurzer Zeit kamen wir an und machten uns mit großem Appetit über den Kaffee und Kuchen her. Moment – den Kuchen hatten wir doch gerade schon mal gesehen…?

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