Teil 2: Handlungsmöglichkeiten

Energiewende

Die heute dominierende Frage scheint die der Energie zu sein. „Erneuerbare Energien“ statt fossiler sind der Imperativ unserer Tage. Damit scheinen unsere Probleme gelöst zu sein.
So gut das klingt – es ist ein zweischneidiges Schwert, denn alle Maßnahmen der Energiewende haben Konsequenzen: bekannte und unbekannte, erwünschte und unerwünschte, zielführende und kontraproduktive.
Gemeinsam ist allen Vorschlägen und Ansätzen: sie sind technischer Art. Fast niemals geht es um eine Verhaltensänderung, im Gegenteil: die wird diffamiert als „Verzicht“. Beispielsweise wird mit „Energiesparmaßnahme“ eine technische Wärmedämmung gemeint aber nicht, dass Menschen einfach weniger Energie verbrauchen, beispielsweise durch niedrigere Raumtemperaturen, Unterlassung von Flugreisen oder nur jeden dritten Tag duschen statt täglich (für viele Menschen muss auch das noch als Hohn klingen: sie wären froh, überhaupt fließendes Wasser zu haben).
Sonnenenergie statt Kohle ist ebenfalls ein rein technischer, äußerlicher Aspekt. Aufwände werden erhöht statt erniedrigt. Der Ansatz zielt darauf, gesellschaftlich möglichst wenig zu verändern, möglichst das gewohnte Leben weiterführen, möglichst keine sozialen Konsequenzen zu ziehen. Und was sind wir gewohnt? Wachstum, Steigerung, immer mehr, Konsum.
Eine vordergründig gelingende Energiewende wird diese Haltung noch bestätigen und befeuern: Die Ressourcen werden noch rabiater und schneller geplündert werden. Und am Ende wird die Energie immer noch nicht reichen.
Sie finden das zu negativ?
Dann nennen und begründen Sie bitte eine Grenze, an der das aufhören wird.
Alternativ: Begründen Sie, wie unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten möglich sein kann. Zeigen Sie Beispiele von unendlichem Wachstum.

Bis solche Belege vorliegen, müssen wir vernünftigerweise vom Gegenteil ausgehen.
Eine Energiewende ohne echte, tiefgreifende Struktur- und Verhaltensänderungen wird keinen Erfolg haben. Probleme werden dorthin verlagert, wo man sie zunächst nicht wahrnimmt und/oder verniedlicht: ins Ausland, auf künftige Generationen, in andere Sektoren oder soziale Schichten. 
Der „Preis“ dafür fällt in unterschiedlicher „Währung“ an, z.B. in Ungerechtigkeiten, ökologischer Zerstörung, Verschuldung, Vertreibung von Menschen, Machtverschiebung, und vieles mehr.
Der tödliche Vogelschlag von Windrädern oder die Landschaftszerstörungen von Solaranlagen samt Stromtrassen sind längst bekannt. Sie werden in Kauf genommen. Die Grünen haben vorgeschlagen, den Naturschutz zurück zu fahren zugunsten des Ausbaues von Wind- und Sonnenenergie.

Der Ausbau der Wasserwege zerstört die Flussökosysteme. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 9.1.2021:

Indem sie Fließgewässer zerschneiden, bedrohen menschliche Bauwerke nicht nur Fischbestände oder haben bereits zu deren Aussterben geführt. Sie beeinträchtigen auch die Wasserqualität und halten große Mengen an Sediment zurück. Das Ausmaß dieses Problems in Europa wurde jüngst in einem Artikel im Fachmagazin Nature beschrieben. Demnach stellen sich mindestens 1,2 Millionen Barrieren in den Lauf der europäischen Flüsse - im Schnitt eine pro 1,4 Kilometer.

Stauseen sind ökologisch ziemlich uninteressant. Ihnen fehlen die wertvollen Übergangsbereiche, die Schilf- und Röhrichtzone, die wichtige Brutgebiete für viele Tiere sind. Die Uferhänge sind viel zu steil dafür. Stauseen sind Fremdkörper in der Natur, die selbst aus dem Flugzeug leicht zu erkennen sind.

Für die neuen Kraftwerke, Stromleitungen und Elektromotoren wird nicht mehr Öl und Kohle geschürft, sondern Kupfer, Kobalt, Lithium, Cer, Lanthan, Neodym, Praseodym und viele weitere. Eine Abhängigkeit wird durch die nächste ersetzt. Die Schürfbedingungen sind genauso schlimm. 
Viele Rohstoffe (nicht nur solche für die Energiewende) sind begrenzt und drohen noch in diesem Jahrhundert zu versiegen, darunter Kupfer, das u.a. in großen Mengen für die Stromleitungen und Elektromotoren benötigt wird.
Die weltgrößte Kupfermine liegt in Chile und hat selbst einen so hohen Energiebedarf, dass dafür an der Küste ein Kohlekraftwerk gebaut wurde. 

Der „Biosprit“ (also der Zusatz von Treibstoffen aus Pflanzen) ist ja längst als Irrweg erkannt worden, aber die Beimengungs-Vorschriften gelten noch. Die Ökobilanz z.B. von Maisanbau ist hoch umstritten.
Ein verstärkter Ausbau von Agrarenergie verschärft die Konkurrenz zu Nahrungsmitteln. Zugespitzt formuliert: Was ist wichtiger – Energie oder Nahrung?

Und dabei hat der Prozess ja erst angefangen: Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch liegt derzeit bei rund 15%. (Siehe nachfolgende Graphik) Es darf nicht nur der Anteil an der Stromerzeugung betrachtet werden, sondern der gesamten Energie.
Um die gesamte Primärenergie „erneuerbar“ zu machen, müssten wir in Deutschland also mindestens sechs Mal so viel Erneuerbare Energien haben wie heute. Das bedeutet 
    • 6x soviel Windräder
    • 6x soviel Solaranlagen
    • 6x soviel Wasserkraft (Stauseen, Staumauern)
    • 6x soviel Biomasse, also 6fache Holzentnahme (aber bitte nachhaltig!), 6mal soviel Äcker
Es gibt jetzt schon zuwenig Flächen für die Windräder.
Über die Hälfte der Erneuerbare Energien geht auf das Konto der Biomasse, also vor allem Holz, Raps und Mais, die letzten Endes zu CO2 verbrannt werden, um die Energie zu nutzen. 
In Grebin wurde in 2020 auf über 430 ha Silomais (siehe folgende Karte der Hauptkulturen in 2020) angebaut für Futter und energetische Zwecke (zu welchen Anteilen ist mir nicht bekannt). Das sind 38% der gesamten Ackerfläche. Wie soll da eine Steigerung auf das Sechsfache möglich sein? 
Und wünschen wir uns das wirklich? 
Soll in Grebin künftig kein Brot-Getreide mehr angebaut werden?

Angenommen, der gesamte Primärenergieverbrauch Deutschlands sollte mit Photovoltaik gedeckt werden – wieviel Fläche würden die Solarmodule belegen?
Dafür rechne ich die 12779 Petajoule (siehe obige Graphik des Umweltbundesamtes) in Kilowattstunden um: 3.549.722.222.222 KWh
Eine 26 m² große Anlage liefert 4000 KWh Strom pro Jahr, eine einzige KWh benötigt also 0,0065 m². Diese Fläche multipliziert mit der Gesamtzahl KWh ergibt: 2.307.319,4 ha oder 23.073,2 km². 
Das ist das eineinhalbfache von Schleswig-Holstein oder die Fläche von ganz Mecklenburg-Vorpommern, lückenlos belegt. Ein komplettes Bundesland würde geopfert.
Welche Flächen sollten das sein, es ist doch keine mehr „übrig“, es ist doch überall schon etwas anderes? Dächer reichen nicht annähernd (in der Stadt sowieso nicht). Autobahnen und Flugplätze umwidmen? Wälder roden? Naturschutzgebiete? Oder landwirtschaftliche Flächen?
Erinnern Sie sich noch daran, welche rosigen Versprechungen uns bei der Atomkraft gemacht wurden?

Wie gesagt, rein technische Lösungsansätze tendieren zur Verlagerung von Problemen statt sie zu lösen. Sie tendieren dazu, etwas zusätzlich zu unternehmen anstatt das Problematische zu unterlassen. Sie suggerieren, dass unser Leben im Wesentlichen wie gewohnt fortgesetzt werden könne ohne große Veränderungen. Das könnte sich bitter rächen.

Mit diesen Ausführungen will ich nicht die Technologien von Erneuerbaren Energien diffamieren. Ich möchte aber davor warnen, sich grünen Illusionen hinzugeben und zu glauben, die Technik allein wird’s schon richten und wir könnten weitermachen wie bisher. 
Leider wird das größte Potential der „Energiewende“ fast niemals thematisiert: Drastisch weniger Energie verbrauchen. Und zwar individuell und strukturell. 
Eingebunden in andere Strukturen und andere Wirtschaftslogik könnten die neuen Technologien dagegen sehr nützlich und sinnvoll sein.

Potential: weniger statt mehr

Potential: innerer Abschied von „grünem Wachstum“


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