Blick aus der Zukunft

Abendprogramm

Eine Glocke rief die Besucher aus ihren Gesprächen.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrter Herr Staatsminister, geehrte akademische Vertreter, liebe Besucher und vor allem liebe Mitglieder der Genossenschaft“ so begann der Bürgermeister seinen Ehrenauftritt. Wie schon vor fünf Jahren übernahm er es, verdiente Bürger der Dorfentwicklung auszuzeichnen.
„Im Namen der Gemeinde Grebin und der Grebiner Bürgergenossenschaft möchte ich heute meinen Dank aussprechen an alle Menschen, die sich für unser Gemeinwesen engagiert haben. Und das sind nicht wenige. Dies hier ist nicht etwa mein Redemanuskript“ – er wedelte mit ein paar großformatigen Blättern durch die Luft – „sondern die Liste der Namen all derer, die im dörflichen Leben Aufgaben aller Art übernommen haben. Sie taten dies mit Freude und einer unauffälligen Selbstverständlichkeit. Sie fragten nicht nach Lohn oder Gegenleistung, sie rechneten nicht auf. Das gemeinsame Gelingen und dankbare Anerkennung war ihnen genug. Diese dankbare Anerkennung möchte ich hier und heute noch einmal bekräftigen!“ Erste Klatscher waren zu hören.
„Allerdings sind es so viele, dass ich jetzt nicht auf alle einzeln eingehen kann. Erlauben Sie also, dass ich diese Namen nachher an der Tafel dort hinten aushänge.
Stellvertretend für die vielen möchte ich aber doch einen hervorheben, auch wenn sein Verdienst vordergründig unscheinbar war und vielleicht nicht mehr allen in Erinnerung ist. Er ist heute 29 Jahre alt, doch vor über zehn Jahren, als in den Dorfgesprächen über die Möglichkeit einer Bürgergenossenschaft gestritten wurde und die Stimmung zu kippen drohte, sagte er: ‚Cool, da mache ich mit!‘.“
Er bat den jungen Mann nach vorne. 
„Björn, du hast damals mit deiner Begeisterung und deinem Tatendrang die Entwicklung an einer Weggabelung in die entscheidende Richtung gelenkt. Du bist ein Beispiel dafür, dass jeder Mensch wichtig ist und Handlungsmöglichkeiten hat. Du hast sie genutzt. Meinen besonderen, tief empfundenen Dank dafür!“
Beifall brandete auf.
Ich murmelte Torsten zu: „Und er hat gleich Taten folgen lassen, indem er die Bürgerbeteiligungssoftware Consul installiert und verwaltet hat.“

Nach einer Weile verschaffte sich der Bürgermeister wieder Ruhe und bat vier Personen zu sich nach vorn, darunter auch zu ihrer großen Überraschung Torsten und Silke.
Er begrüßte sie als Neubürger in der Gemeinde und stellte sie namentlich vor. Dann übergab er allen eine Gemüsekiste vom Hof Brinkmann, die wie eine kleine Ausgabe des Erntedank-Tisches erschienen. Die Broschüre und Anmeldung zur Bürgergenossenschaft darin waren nicht zu übersehen. 
„Und nun sind alle eingeladen zum Dokumentarfilm über unsere Grebiner Bürgergenossenschaft.“


Ich konnte lange nicht einschlafen. Die vielen Eindrücke und Gespräche schwirrten mir im Kopf umher. Obwohl ich doch die Entwicklung selbst miterlebt hatte, waren die Berichte und vor allem die Bilder als wäre ich heute neu dabei gewesen. In der Rückschau fügte sich alles so leicht und einfach wie ein Küchenrezept: „Man nehme …“
Die vielen Sorgen und Ungewissheiten, die vielen Momente kurz vor dem Scheitern und des Etappenerfolges, die Spannungen und Streite, die überwältigende Freude und, ja, Dankbarkeit den Mitstreitern gegenüber, auf die immer wieder Verlass war – all das konnte heute nicht zur Sprache und ins Erlebnis kommen.
Es gab nicht den einsamen Helden, der uns zum Erfolg geführt hatte, sondern es gab die vielen, die früher einmal gesagt hatten „Was kann ich als Einzelner schon tun?“. Sie sagen das heute nicht mehr. Sie haben ihre Selbstwirksamkeit erlebt und die tiefe Genugtuung, die eine gelingende Gemeinschaftsaufgabe schenkt.

Als ich am nächsten Morgen zum Gemeinschaftshaus kam, herrschte bereits das geschäftige Treiben der Vorbereitungen. Der Apfelsaft floss in die Kübel, im Sportheim nebenan hörte man die rhythmischen Sprünge der Gymnastik. Die Glocke rief das Publikum in den Saal zur ersten Veranstaltung über Solidarische Landwirtschaft.

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