Teil 2: Handlungsmöglichkeiten

Sprache und Begriffe: Genug

(Dieser Text ist ein Auszug aus einer Predigt von C. Schwager, Osterkirche Plön, 18.10.2018.)

In den letzten Jahren ist immer wieder von der Evangelischen Kirche und anderen gefordert worden: „Es ist an der Zeit für eine Ethik des Genug.“ Auch Papst Franziskus fordert das in seiner Enzyklika „Laudato sí“.
Was aber ist „genug“? 
    • Eine Hand voll Reis oder drei und mehr üppige Mahlzeiten pro Tag? Jeden Tag Fleisch?
    • Sind Sandalen aus Autoreifen genug, ein Ochsenkarren, ein Fahrrad, ein Auto pro Person?
    • Welches Einkommen pro Monat ist genug – 50 Dollar (Afrika), 416 Euro (Hartz 4), 1033 Euro (Armutsgefährdungsgrenze), 2000, 5000 oder lieber 500.000?

Gibt es überhaupt ein genug?
Woran machen wir fest, was „genug“ ist?
Welche Gefühle löst das Wort „genug“ aus? Von außen klingt „genug“ negativ („das ist nun aber wirklich genug“, „jetzt reicht es aber!“). 
Das klingt nach Verzicht. Doch das ist nicht gemeint.
Wenn „genug“ von innen erlebt wird, kann es sehr positiv sein. Es ist das Gefühl von echter Teilhabe und Zufriedenheit. 
Kann ich je zufrieden sein, wenn ich niemals genug habe?
Kann eine Gesellschaft jemals zufrieden sein, wenn sie niemals genug hat?

Genug ist nicht wenig oder viel, es kann nicht durch eine bestimmte Menge beschrieben werden. Für jeden Menschen und jeweiligen Kontext mag es unterschiedlich sein. Und doch haben wir ein deutliches Gefühl, wenn etwas maßlos ist.
Erst wenn es ein „genug“ gibt, kann sinnvoll nach einem „zuwenig“ und „zuviel“ gefragt werden. 
Welche Ethik des Genug steckt in einer Aussage wie „Für die anderen ist Hartz 4 genug – aber für mich nicht.“?
Beides, zuwenig oder zuviel, ist nicht gut. Wir kennen das aus Redewendungen wie „Zuviel des Guten“ oder „Das ist ja mehr als genug“. Optimal ist eben das genug. Und das lässt sich eingrenzen – wenn auch nur angenähert.  

Wenn es ein Genug gibt, kann sinnvoll gefragt werden: und was dann? 
Was soll geschehen, wenn es genug Autos gibt? (Und offenbar haben wir ja genug Autos in Deutschland) Sollen wir die Fabriken schließen? Hm, warum eigentlich nicht?
Was soll geschehen, wenn der gesellschaftliche Reichtum für alle reicht? Noch mehr produzieren? 
Das ist jetzt keine nette Sonntagsfrage, sondern eine gesellschaftlich und ökologisch höchst relevante Frage, die sehr verschiedene Politikansätze nach sich zieht!
Also noch einmal: Was soll geschehen, wenn der gesellschaftliche Reichtum für alle reicht? Noch mehr produzieren oder gerechter verteilen? 

Unser Wirtschaftssystem kennt in seiner Logik kein „genug“, sondern statt dessen ein „immer mehr“. Es geht nicht um menschliche Bedürfnisse, sondern um nackte Zahlen, z.B. des Wirtschaftswachstums oder der Einkommenserhöhung.
Es ist wirklich genug für alle da – aber nicht „zuviel“ und nicht „immer mehr“.


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