Zitat Welzer, S. 95f:

aus: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten.

	„Es wird chronisch unterschätzt, wie viel die Routinen des Alltags, die gewohnten Abläufe, das 
	Weiterbestehen von Institutionen, Medien, Versorgung dazu beitragen, dass man glaubt, 
	eigentlich würde gar nichts weiter geschehen: Busse fahren, Flugzeuge fliegen, Autos stehen
	im Feierabendstau, die Geschäfte dekorieren weihnachtlich. All das bezeugt Normalität und 
	stützt die tiefe Überzeugung, dass die bekannte Wirklichkeit noch in Kraft und nicht etwa 
	durch eine ganz andere ersetzt worden ist, ohne dass man es bemerkt hätte.
	
	In dem Augenblick, in dem Geschichte stattfindet, erleben Menschen Gegenwart. Soziale
	Katastrophen passieren im Unterschied zu Hurrikans und Erdbeben nicht abrupt, sondern 
	sind ein für die begleitende Wahrnehmung nahezu unsichtbarer Prozess, der erst durch 
	Begriffe wie "Kollaps" oder "Zivilisationsbruch" nachträglich auf ein eruptives Ereignis 
	verdichtet wird. Fragen, warum nicht gesehen wurde, dass eine Entwicklung auf eine Katastrophe 
	zusteuerte, stellen Historiker in dem Wissen darum, wie die Sache ausgegangen ist. Sie blicken 
	vom Ende der Geschichte auf ihren Beginn und erzählen als Retro-Prognostiker, wie es zu diesem 
	oder jenem Ergebnis kam, ja kommen mußte. Damit füllen sie historische Prozesse immer mit mehr 
	Sinn auf, als in der Gegenwart in ihnen zu entdecken war.“