Landwirtschaft

Entwicklung der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft begann mit der „Neolithischen Revolution“, also im Übergang von der Mittleren zur Jungsteinzeit (in Norddeutschland etwa im 6./5. Jt. v. Chr.) Die wesentlichen „Erfindungen“ bzw. Entwicklungen fanden bereits damals oder in den folgenden zwei Jahrtausenden statt. Dazu gehörten Domestizierung von Tieren, Züchtung von Kulturpflanzen (samenfest!), Einsatz von organischer Düngung, Anbau von Nahrungspflanzen und ersten nachwachsenden Rohstoffen, sowie Entwicklung von landwirtschaftlichen Werkzeugen wie Hakenpflug samt tierischer Anspannung (Ochsen).

In den folgenden Jahrtausenden bis ca. 1900 wurden diese Techniken weiter entwickelt, es passierte aber nicht sehr viel prinzipiell Neues, z.B.: Dreifelderwirtschaft, Eisenpflug und Pferdeanspannung. In dieser langen Zeit entwickelten sich viele lokale Kenntnisse und Techniken (fachlich und sozial) sowie unglaublich viele ökologisch angepaßte Sorten. Wichtige Faktoren zur deren Herausbildung waren die lange Zeitdauer, große kulturelle, klimatische und ökologische Unterschiede und die relative Abgeschlossenheit dieser Räume gegeneinander.

Erst in den letzten 100 Jahren und verstärkt ab 1950 setzte wieder eine Welle von Innovationen ein. Z.B.: synthetische Dünger, Motorkraft (Traktoren, Dampfpflug), synthetische Insektizide, Pestizide, Herbizide, Hybride, kapitalorientierte Betriebsformen, Massentierhaltung, Gewächshäuser, Gentechnik, Industrielle Energiepflanzen, Patente auf Leben und Gene. Diese Techniken wurden in der sogenannten „Grünen Revolution“ in kürzester Zeit über weite Teile der Erde verbreitet, ungeachtet kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Verschiedenheiten.

Eine Anpassung der Techniken an eben diese Bedingungen war nicht vorgesehen und erwünscht – und also auch nicht erfolgt. Früher hat sich die Landwirtschaft an die ökologischen Bedingungen angepaßt, heute werden die ökologischen Bedingungen an die Ziele der Wirtschaft angepaßt. Die Schäden und negativen Auswirkungen der modernen Landwirtschaft sind deutlich sichtbar.

Welternährung, Hunger im Überfluß

Zwei Zitate:
„In Kalorien ausgedrückt, ernten Landwirte heute weltweit etwa ein Drittel mehr, als für die ausreichende Versorgung aller Menschen notwendig wäre.“ (aus: Wege aus der Hungerkrise (eine Kurzdarstellung des Weltagrarberichtes April 2010), S. 3)
„Ein Drittel aller Lebensmittel weltweit wird weggeschmissen, findet ein Bericht der UN heraus.“ (Artikel in der taz vom 12.5.2011, S. 8)

1 Mrd. Menschen leiden aktuell Hunger – jeder siebte Mensch!
Alle unter- und mangelernährte Menschen: ein Drittel der Menschheit.
Mindestens eine weitere Mrd. Menschen leiden an zuviel bzw. falscher Nahrung.

Das Problem des Hungers auf der Welt ist keines von zu geringer Produktion.
Der Hunger kann deshalb auch nicht durch höhere Produktion beseitigt werden.
Der Hunger liegt im Wesentlichen an der Verteilung.

Verteilung kann sich in sehr verschiedenen Spielarten zeigen oder verstecken und verschiedene Aspekte betreffen, z.B.

Landwirtschaft im modernen Sinne ist auf den Markt orientiert und nicht mehr auf (Selbst)Versorgung gerichtet (Subsistenz). Damit werden landwirtschaftliche Produkte zur reinen Ware. Es geht um Profit und nicht um Nutzen – Nachfrage statt Bedarfsdeckung. Anders ausgedrückt: das Ziel von industrieller Landwirtschaft ist es überhaupt nicht, den Hunger zu stillen, sondern möglichst viel Geld zu verdienen. Das Argument der Hungerbekämpfung ist nur Marketing und Propagandagetöse der Agrarlobby.

Gründe für Hunger

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Ernährungssouveränität

Angesichts des sich ausweitenden Hungers auf der Erde konstatiert der Weltagrarbericht ein Versagen der modernen Landwirtschaft. Er führt das Konzept der „Ernährungssouveränität“ ein. „Während der klassische Begriff der Ernährungs-Sicherheit sich lediglich auf die Menge an Nahrungsmitteln und Kalorien bezieht, die den Menschen eines Landes oder einer Region zur Verfügung steht, fragt Ernährungs-Souveränität darüber hinaus, wie sie produziert und verteilt werden.“ (Wege aus der Hungerkrise).

„Ernährungs-Souveränität wird als das Recht der Menschen und souveränen Staaten definiert, auf demokratische Weise ihre eigenen Agrar- und Ernährungspolitiken zu bestimmen.“ (Weltagrarbericht)

Dieses Konzept rückt wieder das eigentliche Ziel einer guten Ernährung der Menschen in den Mittelpunkt. Landwirtschaft wird als ein Mittel betrachtet: „In Bezug auf den Welthandel bedeutet Ernährungs-Souveränität das Recht von Staaten, ihre Lebensmittelproduktion selbst zu gestalten. Dieses Recht dürfe weder von der WTO noch von einzelnen Handelspartnern eingeschränkt werden. Sie richtet sich auch gegen Kreditauflagen und Strukturanpassungs-Programme des Internationalen Währungsfonds oder der Weltbank, die Entwicklungsländer zwecks Reduzierung ihrer Schulden¬last zum Verzicht auf staatliche Saatgutverteilung, Handelskontrollen und Lebensmittel-Reserven und zu exportorientierten Anbauprogrammen zur Verbesserung ihrer Außenhandelsbilanz zwingen. National steht Ernährungs-Souveränität für das Recht ländlicher Gemeinden und lokaler Produzentinnen und Produzenten auf Selbstbestimmung, demokratische Selbstorganisation und Verfügung über landwirtschaftliche Produktionsmittel. Sie steht aber auch für das Selbstbestimmungsrecht von Verbraucherinnen und Verbrauchern gegenüber der geballten Wirtschafts- und Kommunikationsmacht von Lebensmittelkonzernen und Handelsketten und fragt, welchen Interessen Wissenschaft und Forschung dienen sollten. “ (Wege aus der Hungerkrise).

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Ökologie

Hier folgen einige Stichworte zu wichtigen ökologischen Problemen, die im Zusammenhang mit der industrialisierten Landwirtschaft stehen:

Klima und Energie

Wirtschaftsweise

Böden und Wasser

Desertifikation, Degradation

Biodiversität

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Sortenvielfalt bei Kartoffeln und Mais im genetisch-historischen Zentrum Peru:

Sortenvielfalt bei Kartoffeln

Sortenvielfalt bei Mais


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bäuerliche und industrielle Landwirtschaft

Wir sind an die zunehmende Mechanisierung in der Landwirtschaft in Deutschland inzwischen gewöhnt – sofern wir denn überhaupt noch etwas von der Landwirtschaft mitkriegen. Die Landwirtschaft ist nur noch wenig sichtbar. Auf den riesigen Feldern sind fast niemals Menschen zu sehen. Nur in kurzen Momenten des Jahres bewegen sich Maschinen darüber hinweg.

Die Höfe selbst sind für die Öffentlichkeit gesperrt, die Hallenwände fensterlos, auch hier meist nur ein Maschinenpark sichtbar. Die Verbundenheit mit und der Bezug zum Land ist bei uns weitgehend verloren gegangen. Kinder können bestenfalls im Streichelzoo Kühe und Schafe als etwas sehr exotisches erleben.

Der Strukturwandel mit seinem „Wachse oder weiche“ hat tiefgreifende Auswirkungen hinterlassen. Um 1900 erzeugte ein Landwirt in Deutschland Nahrungsmittel für 4 weitere Personen, 1950 ernährte er 10 Personen, 2004 waren es 143. Die durchschnittliche Betriebsgröße ist bis zum Jahr 2007 auf rund 45 ha angestiegen (einschließlich aller Nebenerwerbsbetriebe. Haupterwerbsbetriebe haben nicht selten mehrere Hundert ha!). Es waren rund 1,25 Millionen Personen haupt- oder nebenberuflich beschäftigt, was 530.000 Vollzeitarbeitsplätzen entsprach.

In Frankreich und England, besonders aber in den USA gibt es noch viel größere Betriebe. Die Maschinen, Gebäude, Geräte, Abläufe, chemische Mittel und Treibstoffe sind so dimensioniert und automatisiert, daß ein einzelner Mensch 100 ha allein bewirtschaften kann und für viele Millionen Euro Kapital verantwortlich ist.

Ganz anders sieht es in den meisten Ländern Afrikas, Asiens oder Südamerikas aus. Hier ist die Landwirtschaft ein wesentlicher Teil des Alltags. 2,6 Milliarden Menschen, 40% der Welt¬bevölkerung, leben hauptsächlich von der Landwirtschaft. 85% der weltweit 525 Mil¬lionen Bauernhöfe bewirtschaften weniger als zwei Hektar Land. Sie produzieren den größten Teil aller Lebensmittel und bewirtschaften etwa 60% der weltweiten Anbaufläche, dabei häufig die schlechteren und weniger gut bewässerten Böden.

Der prozentuale Anteil der Kleinbauern an der Weltbevölkerung nimmt zwar ab, doch ihre absolute Zahl steigt weiter. Die von ihnen bewirtschaftete Gesamtfläche sinkt seit Jahren. Deshalb schrumpft die durch¬schnittliche Größe der Kleinstbauernhöfe in Asien und Afrika. Die Größe landwirtschaft-licher Unternehmen in Europa, Amerika und Australien steigt dagegen, während ihre Zahl drastisch abnimmt. Durchschnittszahlen verbergen die besonders krassen Gegensätze zwischen Groß- und Kleinbau¬ern in Lateinamerika. Auch in Nordamerika und Europa beziehen sie Kleinbetriebe mit ein, deren Besitzer nicht mehr von der Landwirtschaft leben können.

Während also die Landwirtschaft in den Industrieländern eine übermäßige Kapitalkonzentration aufweist, sind die vielen kleinen Betriebe meist unterkapitalisiert. Mit etwas besserer Ausstattung könnten sie ihr Potential nochmal wesentlich steigern. D.h. die eigentlichen Entwicklungspotentiale liegen in den kleinen, arbeitsintensiven Betrieben - und nicht in den industriellen Großbetrieben.

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Land grabbing

Landwirtschaftliche Fläche mit guten Bodeneigenschaften wird zunehmend von internationalen Investoren in großem Stil aufgekauft. Es handelt sich dabei um Größenordnungen, die jenseits aller Vorstellungskraft liegen. Die historischen Großgrundbesitze wirken dagegen wie ein kleiner Vorgarten. Es geht in die Millionen von Hektaren. Zum Vergleich: in Deutschland gab es 2007 rd. 17 Millionen ha landwirtschaftliche Fläche, das entspricht ca. 47% der gesamten Fläche der Bundesrepublik.
Mit anderen Worten: in Afrika, Brasilien, Argentinien und anderen Ländern werden Flächen aufgekauft, die die Größe von ganzen Staaten haben.

Das erfolgt teils legal, teils illegal, wobei besonders in Brasilien vor Mord nicht zurückgeschreckt wird.
In Kenia geschieht der Ausverkauf sehr planmäßig. Eine eigene Behörde wurde dafür eingerichtet. Als Investoren treten z.B. Katar (staatliche Politik!) auf oder reiche Inder. In Brasilien ist ein französisches Unternehmen präsent und natürlich die Brasilianer selbst. Auch Libyen, China, Südkorea oder Firmen wie Daewoo sind aktiv.

Damit gewinnt die Privatisierung von Land und Boden eine neue Dynamik.
Die Bodenpreise ziehen weltweit deutlich an und werden wohl weiter steigen angesichts der riesigen Nachfrage. Kleinbauern können dagegen nicht konkurrieren und werden von ihrem Land verdrängt, meist in Gebiete mit schlechteren Bedingungen, oder gar völlig von ihrer Existenzgrundlage abgeschnitten. Die Tendenz zu einer super-industrialisierten Landwirtschaft ist steigend.
Der scheidende FAO-Chef spricht von Neokolonialismus.

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ein persönliches Wort

(von C. Schwager)

Für mich wirkt die ganze Entwicklung so empörend, daß ich es kaum in Worte fassen kann.
Die Privatisierung der Lebensgrundlagen aller Menschen schreitet in großen Schritten voran und es wird nichts dagegen unternommen. Die Unmenschlichkeit, das Fehlen jeglicher ethischer Werte, die Blindheit gegenüber den sozialen, kulturellen und ökologischen Auswirkungen macht fassungslos.

Das Saatgut, Zucht- und Anbauverfahren, Pflanzen- und Tierarten, Klon- und genetische Manipulationsverfahren, sowie Wirkstoffe sind durch Patente "geschützt" (wie es als Schönsprech heißt), also privatisiert und mit Lizenzgebüren belegt.
Land wird zunehmend privatisiert und akkumuliert.
Der politische Einfluß dieser wirtschaftlichen Eliten wächst, die reale Demokratie schwindet.

Für mich stellt sich die Frage nach dem Eigentumsbegriff. Ich kann nicht akzeptieren, daß er so weit gefaßt werden sollte, daß die Lebensgrundlagen (einschließlich der biologischen Prozesse) aller Menschen und künftigen Generationen in den Händen von wenigen Mächtigen konzentriert liegen und alle übrigen Menschen de facto abhängig sind. Das wäre eine neue Ära der Leibeigenschaft und der Sklaverei, die alle historischen Vorläufer weit in den Schatten stellen würde.
Nach unserem deutschen Recht würde ich das als sittenwidrig und daher nichtig ansehen.
Es ist hohe Zeit, das Gemeinwohl vor das private "Wohl" zu stellen und solche Exzesse zu bekämpfen.
Es würde mich nicht wundern, wenn der Begriff des "Terrorismus" demnächst eine unerwartete Erweiterung fände...

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