
Was ist ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Probleme
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine soziale Neuerung von historischen Dimensionen.
Bei einem solchen Unternehmen sind auch große Probleme zu erwarten:
- vorweg: die Finanzierung ist kein Problem
- Unvorhersagbarkeit, Unplanbarkeit
- vielfältige Abhängigkeiten
- die Freiheitszumutung
- Zersplitterung der Bewegung
- Überfrachtung mit anderen Zielen
- Migration
- internationale Aspekte
- mächtige Gegner
- Höhe und Art der Wirtschaftsleistung
- Arbeitsmotivation
- "Drecksarbeit"
vorweg: die Finanzierung ist kein Problem
Viele Menschen - auch aus der Grundeinkommensbewegung selbst - glauben, die Finanzierbarkeit sei das größte Problem.
Das sehe ich nicht so.
Natürlich ist es nicht leicht, ein angemessenes Steuer- und Abgabensystem zu entwerfen und zu realisieren. Aber das ist eher technischer Natur und kommt erst zum Tragen, wenn es an die Umsetzung der Grundeinkommensidee geht. Und so weit sind wir noch nicht, weil es viel wichtigere Probleme zu bedenken gilt.
Einstweilen genügt es, daß es viele verschiedene Finanzierungsansätze gibt, die - bei aller sonstigen Verschiedenheit - eines gemeinsam haben:
sie zeigen alle die prinzipielle Finanzierbarkeit eines bedingungsloses Grundeinkommens.
Eine weitere und grundsätzlichere Überlegung zur generellen Finanzierbarkeit finden Sie
im Abschnitt Verteilung.
Unvorhersagbarkeit, Unplanbarkeit
Ein großes Problem - und zugleich eine der Stärken! - ist, daß die Konsequenzen der Einführung eines Grundeinkommens nicht vorhersehbar sind.
Das soll in aller Klarheit und Ehrlichkeit am Anfang der Problemdiskussion stehen.
Sie finden auch auf dieser Website viele Argumente, die bestimmte Zustände in der Zukunft beschwören. Das ist mit plausiblen Überlegungen
unterfüttert. Ob sich die Gesellschaft in Zukunft aber wirklich so entwickeln wird, wissen wir natürlich nicht.
Die Schwierigkeit ist im Falle des Grundeinkommens besonders groß, weil vielfältige Wechselbeziehungen zu anderen gesellschaftlichen Bereichen
und Abläufen bestehen, so daß wir von einem hochgradig nicht-linearen System ausgehen müssen: durch die Wechselbeziehungen kann es Rückwirkungen
(Rückkopplungen) auf die Voraussetzungen der Beziehung geben. Das kann auch bedeuten, daß das gesamte System sehr rasch eine völlig neue und
unerwartete Richtung einschlagen kann.
Das klingt bedrohlich. Tatsächlich war es jedoch schon immer so, daß die Zukunft nicht vorhersehbar war. Und hin und wieder gab es völlig
überraschend eine gravierende Zäsur. So z.B. vor zwanzig Jahren, als die sozialistische Hemisphäre zusammenbrach.
Die Unvorhersehbarkeit ist ein psychologisches Problem: Angst vor dem Ungewissen.
Mit der Finanz- und Wirtschaftskrise hatten wir die Chance einer großen Veränderung. Aber die Regierung hatte offenbar genauso viel Angst vor
dem Unbekannten der Zukunft, daß sie es vorzog, möglichst den alten Zustand mit den bekannten Mechanismen wieder herzustellen.
Von diesen alten Mechanismen wissen wir, daß sie uns zu den Problemen geführt haben, die als
Metakrise bezeichnet werden können. Der Klimawandel ist eine besonders prominente Facette davon.
Planbarkeit setzt einen bestimmten Bezugsrahmen voraus. In eine Planung kann nur bereits Bekanntes, mehr noch: "Bewährtes" einfließen.
Bewährt haben sich die alten Ansätze aber unter Bedingungen, die heute nicht mehr gelten. Eine starre Technokratie bemerkt es nur nicht.
Viele Menschen dagegen spüren, daß es so nicht weiter gehen kann und darf - und doch tut es das und die Menschen leiden
daran und verzweifeln. Uns läuft die Zeit weg und die notwendigen Ressourcen erschöpfen sich. Wie ein Supertanker fahren wir auf einen
Eisberg zu.
Das Problem ist also eher die Starrheit, Sturheit und Unbeweglichkeit des Systems, die zumindest eine sichere Vorhersage erlauben:
Sie führen geradewegs zum "Ende der Welt, wie wir sie kannten" (Buchtitel von Harald Welzer).
Nun stellt sich die Frage, woher die Energie und der Impuls für eine echte und rasche Änderung kommen sollen?
Wer immer nur Angst vor dem Wasser hat, wird nie schwimmen lernen. Wer erst dann eine Veränderung in Angriff nimmt, wenn sie sich als
gut erwiesen hat, wird sie nie beginnen. Das ist die heutige Situation.
So gesehen ist die gesellschaftsverändernde Potenz, die in der Einführung eines bedingungsloses Grundeinkommens liegt, nicht mehr bedrohlich.
Sie kann uns im Gegenteil von der bleiernen Trägheit der Tagespolitik befreien hin zu einer echten Neugestaltung.
Es gibt keine Garantie für den Erfolg, aber eine große Chance.
vielfältige Abhängigkeiten
Wenn ein bedingungsloses Grundeinkommen realisiert wird, so kann das Auswirkungen haben u.a.
auf das Menschenbild und Wertehaltung in der Gesellschaft, auf Arbeitsmarkt, Wirtschaft und Leistungsgesellschaft,
auf Bildung, auf die politische Kultur
und Demokratie, auf die Ökologie, auf das Sozialgefüge, auf die demographische Struktur und vieles mehr.
Die Diskussion des Grundeinkommens wird daher sehr komplex.
Die wechselseitigen Bezüge können zu unvorhersehbaren Wirkungen führen (s.o.).
Sie führen sicher zu ganz neuen Begriffen bzw. Begriffsinhalten.
- Welche Bedeutung werden z.B. die Begriffe "Arbeitsmarkt" und "Vollbeschäftigung" haben, wenn es keine Arbeitslosen im heutigen Sinne mehr gibt?
- Wie wird die Leistungsfähigkeit der Deutschen Wirtschaft beurteilt, wenn der immens wichtige Beitrag von bislang unbezahlter Arbeit völlig neu bewertet wird - und im Gegenzug natürlich auch die bezahlte Arbeit? Welche Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik hätte dies?
- Wie wird sich die Geburtenrate entwickeln, wenn Eltern weniger Arbeit für die materiellen Grundlagen der Familie aufwenden müßten und mehr Zeit für das Miteinander haben?
- Wie wird sich die Lebensplanung von Jugendlichen ändern, wenn etliche der heutigen Probleme entfallen und sich neue Herausforderungen stellen (s.u. "Freiheit")?
- Welche neuen Begriffe von Solidarität und Verantwortung können sich entwickeln und mit Leben füllen in einer Gesellschaft, die häufig nur gesetzliche Zuständigkeit statt menschlicher Verantwortung kennt?
- Wenn Menschen auch wirtschaftlich "Nein" sagen können - wie werden sich ökologisch bedenkliche Industriezweige entwickeln? Oder die Waffenproduktion? Oder die Landwirtschaft?
-
Wie wirkt es auf die gesundheitliche Verfassung der Menschen, wenn die diffuse, aber schwere Bedrohung durch sozialen Abstieg und
Existenzangst von ihren Schultern fällt?
Wird dann womöglich eine alte Angst durch eine neue ersetzt? - Wie wird sich unser Konsumverhalten ändern - und damit eine der Schlüsselgrößen unserer Wirtschaft und Wirtschaftstheorie?
- Wenn der Mensch tatsächlich in den Mittelpunkt gerückt wird: könnte es eines Tages Wirklichkeit werden, daß sich das Hauptmotiv wirtschaftlichen Handelns ändert von purem Gewinnstreben in Richtung auf gesellschaftliche Bedarfsdeckung? Welche Auswirkungen auf die Organisation der Wirtschaft hätte dies?
Das bedingungslose Grundeinkommen mag von der Gesetzgebung her ein isolierbarer Akt sein - in der gesellschaftlichen Entwicklung
ist es das aber gewiß nicht!
Für die Debatte des Grundeinkommens ergibt sich daraus die Schwierigkeit der Abgrenzung: Es gibt so vielfältige Aspekte,
die in der Diskussion vorgetragen werden, daß man sich "über Hölzchen und Stöckchen" in den Details verliert.
Das soll hier gar nicht kritisiert werden, sondern ist im Gegenteil ein positives Zeichen. Es belegt nämlich, daß viele Menschen auf
Zusammenhänge achten.
Es erfordert aber noch lange geduldige Diskussion.
die Freiheitszumutung
"Freiheit" klingt gut. Wieso "Zumutung"?
Das bedingungslose Grundeinkommen soll den Menschen mehr Freiheit bringen - so ein zentrales Argument. Aber ist das wirklich nur schön?
Bislang ist es so einfach: "Nein" sagen geht gar nicht! Da wird mir die Entscheidung abgenommen und ich kann wunderbar jede Verantwortung
dafür auf andere schieben. Meine Zeit, mein Leben wird von außen strukturiert.
Nun plötzlich muß ich selbst entscheiden, ob ich "ja" oder "nein" sage. Oder etwas dazwischen. Da muß ich mir Gründe überlegen und Argumente.
Und hinterher habe ich noch nicht einmal die Ausrede, daß ich ja selbst gar nichts dafür kann... Das kann schwierig werden. Womöglich muß ich mein
Leben selbst strukturieren.
Das "Nein" ist nur der erste Teil einer Antwort: Danach muß die Formulierung einer Alternative kommen.
Unsere Freizeitgestaltung (und damit auch unsere "Freiheitsgestaltung") wird ganz wesentlich von außen gesteuert und ist
hochgradig konsumorientiert. Da erscheinen Zweifel durchaus berechtigt, ob wir zu der neuen Freiheit überhaupt fähig sind?
Für Wolfgang Engler beispielsweise ist dieser Zweifel so stark,
daß er erhebliche Bildungsanstrengungen fordert. ("Unerhörte Freiheit", 2007, Aufbau-Verlag).
Ein jeder möge sich selbst befragen, wie gut es ihm wohl gelingt, sich selbst zu motivieren, sein Leben zu strukturieren und mit Sinn zu
erfüllen, und zwar dauerhaft - nicht nur einen Sonntag lang.
Wie auch immer die Antwort ausfallen mag - es bleibt die Frage: wollen wir vor dieser Anstrengung kneifen, lieber weiter im Tretrad bleiben
und eine zunehmend entfremdete und entfremdende Arbeit als Sinnsurrogat ausüben?
Zersplitterung der Bewegung
In der öffentlichen Debatte erscheint die Grundeinkommensbewegung hoffnungslos zersplittert.
Das wird teilweise gezielt so dargestellt, teils beruht es auf tatkräftiger Mithilfe der Protagonisten.
Es ist ein ernsthaftes Problem, denn damit geht es immer weniger um das Thema selbst und mehr darum, wer Recht hat.
Interessierte Menschen müssen sich fast zwangsläufig mit den z.T. diffizilen Unterschieden herumschlagen und sehen sich dann genötigt,
sich einem der Lager anzuschließen - oder sie wenden sich eben ab.
Die Diskussion von verschiedenen "Finanzierungsmodellen" befriedigt in vorauseilendem Gehorsam eine vermeintliche Forderung des Publikums.
Natürlich wird die Frage häufig gestellt: "Und wie soll das alles bezahlt werden?" Ich glaube, diese Frage zielt in den meisten Fällen
nicht auf die Details, sondern auf die unerhörte Dimension des Vorschlages. Es ist eine Äußerung von ungläubigem Erstaunen.
Wer hier mit Zahlen kommt, verdrängt die eigentliche Frage: Wie wollen wir leben? Wie wollen Sie leben?
Es geht um gesellschaftliche und menschliche Werte - und nicht um fiskalische!
Die Parteiendemokratie ist in Mißkredit geraten, weil das Lagerdenken oft eine angemessene Lösung von Problemen verhindert.
Diesen Fehler sollte die Grundeinkommensbewegung vermeiden.
Überfrachtung mit anderen Zielen
Zwei der oben geschilderten Probleme (vielfältige Abhängigkeiten und Zersplitterung) vereinigen sich häufig zu einem dritten Problem.
Die vielfältigen Verknüpfungen des Grundeinkommens zu anderen gesellschaftlichen Bereichen rücken weitere Aspekte in den Blickpunkt.
Es gibt Befürworter, die nun gleich mehrere Aspekte zusammen mit dem Grundeinkommen bearbeiten oder "lösen" wollen. Entsprechend
gestalten sie ihre Finanzierungsvorschläge aus.
Solche Aspekte können z.B. "soziale Gerechtigkeit", "Mindestlöhne", "Verringerung der Lohnnebenkosten", "Vereinfachung des Steuersystems" oder
"Stärkung des Exports" sein. Es gibt noch viele weitere solcher Aspekte, die Eingang in verschiedene Modelle bzw. Denkrichtungen finden.
Das bedeutet eine Überfrachtung von Zielen, womit die Zersplitterung weiter zementiert wird.
Wenn das bedingungslose Grundeinkommen eines Tages verwirklicht wird, so könnte es einigermaßen unspektakulär daherkommen: Es wird ein
Recht für jeden Bürger/Mensch formuliert, vielleicht sogar im Grundgesetz verankert. Es wird geregelt, in welcher Weise die Auszahlung
erfolgt. Das dürfte schon alles sein.
Wie das finanziert wird, ist ein weiteres Gesetz. Wie die Steuern gestaltet werden, ein drittes. Was mit der bisherigen Verwaltung und den
Sozialsystemen passiert ein viertes. Die Höhe des Grundeinkommens wird regelmäßig (jährlich?) erneut durch weitere Gesetze festgelegt.
Das Grundeinkommen ist keine eierlegende Wollmilchsau, es kann und soll nicht alle sozialen Probleme auf einmal lösen!
So wichtig diese unterschiedlichen Aspekte auch sind - sie sollten von der Realisierung her nicht alle in einen Topf geworfen werden.
Es ist leicht vorstellbar, was passiert, wenn das doch versucht wird: nichts. Die Selbstblockade wird unüberwindbar sein, die
politischen Vorbehalte und Widerstände an allen Seiten des Spektrums provoziert.
Es ist selbstverständlich, daß die gesellschaftliche Gestaltung nicht mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu Ende ist. Wir werden weiter Debatten brauchen und Gesetze beschließen müssen, um die Aspekte zu lösen, die mit Recht und gutem Grund vorgebracht werden.
Migration
Mit dem Wort Migration soll auf zwei Problemkreise hingewiesen werden.
- Sollen auch alle Ausländer in Deutschland ein Grundeinkommen erhalten?
- Werden nicht viele Zuwanderer nach Deutschland gelockt, wenn sie hier so einfach Geld kriegen können?
Zur ersten Frage:
Selbstverständlich! Für Ausländer gelten die gleichen Menschenrechte wie für Staatsbürger.
"Die Ausländer nehmen uns die Arbeit weg!" - dieses Argument wird mit dem Grundeinkommen gegenstandslos.
Zur zweiten Frage:
Hier wird ein Problem auf das falsche Konto gebucht. Bereits heute - d.h. ohne Aussicht auf Grundeinkommen - gibt es eine gigantische Migration.
Die Gründe dafür sind vielfältig, z.B. Bürgerkrieg, Klimawandel, ökologische Katastrophen, extreme Armut, Hunger usw.
Bei etlichen der Gründe sind wir Mitteleuropäer nicht schuldlos. Wenn wir die Migration verringern wollen, so müssen wir diese Gründe bearbeiten
und nicht das Problem mißbrauchen, um eine wichtige soziale Neuerung zu diskreditieren, die damit überhaupt nichts zu tun hat.
Für Menschen, die sich nicht dauerhaft in Deutschland aufhalten, kann hier noch keine Aussage getroffen werden. Das ist ein offener Punkt. Es handelt sich dabei aber um ein sehr kleines Randproblem.
internationale Aspekte
Wie werden sich die Außenbeziehungen zu anderen Ländern in der Welt entwickeln, wenn wir ein Grundeinkommen einführen?
Rein rechtlich ist das Grundeinkommen eine innerstaatliche Angelegenheit und hat also keine Auswirkungen nach außen.
Es wäre zu untersuchen, inwieweit EU-Recht betroffen ist z.B. bei der Frage der Finanzierung (Steuern, Abgaben).
Wirtschaftlich könnten ähnlich unvorhersehbare Außenwirkungen entstehen wie innerhalb.
Besonders interessant dürfte es sein, wie sich transnationale Konzerne verhalten werden und wie die Finanzwelt reagiert.
Es ist wichtig zu untersuchen, wie ggf. einer Kapitalflucht zu begegnen ist.
Manche nehmen an, der Export würde bei einer reinen Konsumsteuer stimuliert werden.
Das wäre allerdings keine Auswirkung des Grundeinkommens, sondern der Steuergesetzgebung.
Generell halte ich derlei Zukunftsaussagen für nicht belastbar, sondern eher für plausible Vermutungen. Wenn wir davon ausgehen, daß wegen der wahrscheinlichen Rückkopplungen sich unvorhergesehene Entwicklungen ergeben können, dürfen wir nicht so tun, als hätten wir ausgerechnet bei unseren eigenen Annahmen Sicherheit.
Die wichtigste Wirkung wäre vermutlich eine kulturelle. Die Diskussion über ein Grundeinkommen würde auch in anderen Ländern eine enorme
Dynamik gewinnen. Der Vorbildcharakter wäre nicht von der Hand zu weisen.
Und die Frage der Gerechtigkeit und sozialen Ausgewogenheit würde sich auf internationaler Ebene neu stellen.
mächtige Gegner
Bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist mit heftigem Widerstand von verschiedenen Seiten zu rechnen.
Der hartnäckigste und machtvollste Widerstand ist zugleich kaum bewußt: Es sind die alten Denkgewohnheiten und Werte.
Sie entziehen sich der Debatte, denn während vordergründig über das Grundeinkommen gesprochen wird, lenken sie im Hintergrund
die Blickrichtung und Bildung von Argumenten.
Da gibt es z.B. die Annahme, Arbeit und Einkommen seien gleichbedeutend. Deshalb reduziert sich die Betrachtung auf die Arbeit.
Eine andere Wertung: Wer nicht arbeitet, ist faul - und das ist schlecht. Dazu gehört auch ein völlig verkümmertes Menschenbild.
Derlei Wertungen sind so tief verinnerlicht, daß sie niemals hinterfragt werden. Sie bilden den selbstverständlichen Boden, auf dem die
Menschen sich intellektuell bewegen. So gesehen müssen die Denkgewohnheiten Gegenstand der Diskussion werden.
Und seien wir ehrlich: Auch wir, die Grundeinkommensbewegung, stecken vielfach in den alten Denkgewohnheiten.
Dieses alte Denken haben Politiker und Bevölkerung gemein.
Bei ersteren kommt erschwerend hinzu, daß sie sich in aller Regel einer Partei angeschlossen haben. Parteien haben meist eine gewisse
autistische Tendenz: viel Sendung, wenig Empfang. Und sie grenzen sich stark von den anderen Parteien ab, wobei teilweise Blockaden
entstehen.
Der einzelne Politiker muß also nicht nur seine eigenen Denkgewohnheiten erkennen und bearbeiten, sondern zusätzlich noch die seiner Partei
und deren Blockaden.
Übrigens: Auch die Grundeinkommensbewegung steht in der Gefahr der Lagerbildung!
Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet eine finanzielle Umverteilung.
Da gibt es gefühlt viele Gewinner und einige Verlierer (in dem Sinne, daß sie materiell etwas weniger haben als vorher).
Das Grundeinkommen soll die Verhandlungspositionen der Menschen gegenüber Arbeitgebern stärken.
Es bedeutet auch eine andere politische Kultur und damit potentiell eine Einschränkung der Lobby-Wirksamkeit. Damit wird die Machtfrage berührt.
So ist aus weiten Bereichen der Wirtschaft und Finanzwelt mit viel Gegenwind zu rechnen.
Höhe und Art der Wirtschaftsleistung
Die Wirtschaftsleistung erscheint als eine wichtige Größe für das Grundeinkommen, denn davon hängt u.a. seine Höhe ab.
Die Entwicklung der Wirtschaftsleistung ist jedoch ungewiß, wenn sich die Rahmenbedingungen für seine Erzeugung und begriffliche Definition (!)
so gravierend ändern, wie es mit dem Grundeinkommen der Fall ist.
Etliche "Modelle" gehen von einer bestimmten Höhe (als Geldbetrag) des Grundeinkommens aus. Diese Annahmen stehen auf tönernen
Füßen und sollten als erste Orientierung genommen werden. Sie dienen den Rechenbeispielen unter heutigen Bedingungen.
Die Wirtschaftsleistung (BIP) ist heute ein sehr problematischer Begriff, weil er bestenfalls für eine quantitative Andeutung unserer
wirtschaftlichen Fähigkeiten taugt (und das auch nur teilweise), aber keinerlei Aussagekraft darüber hat, ob unsere Fähigkeiten
und Ressourcen sinnvoll eingesetzt wurden oder nicht. Völlig ignoriert werden nicht bezahlte Tätigkeiten, obwohl für die fast doppelt so
viel Stunden aufgewendet werden wie für bezahlte Arbeit (Statistisches Bundesamt).
Nicht bezahlte Arbeit soll mit einem Grundeinkommen explizit einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert erhalten. Das Grundeinkommen
ermöglicht/erleichtert Tätigkeiten, die gesellschaftlich von großer und größter Wichtigkeit sind (z.B. Aufziehen von Kindern).
Es wäre nur folgerichtig, wenn mit der höheren Wertschätzung der nicht bezahlten Arbeit auch der Beitrag zur Wirtschaftsleistung angemessen
eingeschätzt wird. D.h. daß ein neuer Begriff von Wirtschaftsleistung definiert wird und statt des alten in der politischen Planung
verwendet wird.
Dieser neue Begriff müßte auch qualitative Elemente enthalten.
Allein damit wären schon völlig neue Voraussetzungen gegeben.
Das Grundeinkommen soll den Menschen den Freiraum schaffen, bestimmte Arbeiten abzulehnen bzw. über die Arbeitsbedingungen zu
verhandeln. Das könnte dazu führen, daß sich die Produktion nach Art und Menge deutlich verändert.
Die gleiche Wirkung könnte ein verändertes Konsumverhalten haben, denn es ist anzunehmen, daß eine Maßnahme von der soziokulturellen
Dimension eines Grundeinkommens nicht ohne deutliche Konsequenzen für das Konsumverhalten bleibt.
Somit kann über die künftige Höhe des Grundeinkommens keine seriöse Aussage gemacht werden.
Eine alternative Möglichkeit ist dagegen, einen Anteil an der jeweiligen Wirtschaftsleistung zu definieren, der mindestens zur
Verteilung herangezogen werden soll.
Arbeitsmotivation
Die Arbeitsmotivation ist einer der häufigsten Aspekte in der Grundeinkommensdiskussion und wird sehr gegensätzlich beurteilt,
wobei beide Seiten eine erstaunliche Sicherheit für ihre Zukunftsaussagen in Anspruch nehmen.
Wir sollten da alle etwas vorsichtiger sein und uns klarmachen, daß wir nur von den heutigen Gegebenheiten und von bestimmten
Annahmen (die sich wiederum auf unsere Werte gründen) ausgehen. Es ist das alte Dilemma: Was ändert sich, wenn sich nichts ändert?
Nun soll sich aber etwas ändern, und zwar erheblich.
Die Befürworter zitieren gern eine Umfrage, der zufolge angeblich 60% aller Befragten die gleiche Arbeit fortsetzen würden, 30% eine
andere oder kürzere Arbeit anstreben und 10% "ausschlafen" wollen. (Die Quelle dieser vielzitierten Umfrage kenne ich nicht.)
Selbst wenn die Umfrage tatsächlich diese Werte erbracht hat und repräsentativ war, können wir uns keineswegs darauf verlassen,
daß die Menschen im Ernstfall auch wirklich so handeln werden - und zwar dauerhaft.
Die Gegner verzichten gleich ganz auf einen Beleg und verlassen sich auf ihr Gefühl (oder das von irgendeinem "Experten").
Sie haben ein negatives Menschenbild und gehen von der strikten Verknüpfung von Arbeit und Einkommen aus. Sie denken in der Kategorie
der positiven und negativen "Anreize" - so als lägen alle Beweggründe außerhalb des Menschen.
Nur weil das bei Sklaven funktioniert, sollte es doch nicht auf unsere ganze Gesellschaft übertragen werden! Die Gegner basteln also an einer
selbsterfüllenden Prophezeihung.
Dabei ist die Sache gar nicht so schwierig: probieren wir es doch einfach aus!
Sollte die Arbeitsmotivation tatsächlich nicht reichen, dann können ja "Anreize" geboten werden, z.B. bessere Arbeitsbedingungen, höherer
Lohn, sinnvollere Produkte und Dienstleistungen, mehr Achtung und Gestaltungsmöglichkeiten und vieles mehr.
Übrigens wäre zu klären, woran gemessen werden soll, ob die Arbeitsmotivation "reicht". Ewiges Wirtschaftswachstum ist jedenfalls
ein schlechtes Kriterium.
Es wäre naiv zu glauben, nach Einführung des Grundeinkommens müßten wir niemals wieder etwas regeln. Das ist doch ein dynamischer
Prozeß!
"Drecksarbeit"
Mit einem Grundeinkommen können wir zu einer Arbeit auch "Nein" sagen. Wir müssen nicht alles machen, was uns aufgetragen wird.
Aber wer macht dann die "Drecksarbeit"?
Wer erledigt die unbeliebten Aufgaben und Arbeiten? Bleiben die dann einfach liegen?
Diese Frage wird häufig mit einiger Skepsis gestellt. Doch was ist eigentlich "Drecksarbeit"?
Dafür gibt es keine einheitliche Definition, das kann für jeden etwas anderes sein, vor allem für diejenigen, die solche vermeintlich schlechten Arbeiten ausüben. Es ist keineswegs ausgemacht, daß sie alle die Arbeit beenden würden, wenn sie ein Grundeinkommen erhalten.
Aber die Sorge des Fragestellers aus seiner subjektiven Sicht bleibt bestehen.
Offenbar handelt es sich dabei um zwar unangenehme, aber gesellschaftlich wichtige Aufgaben, sonst wäre die Frage von untergeordneter Bedeutung.
Es ist sinnvoll zu fragen, von wem und warum solche unbeliebten Arbeiten denn heute ausgeführt werden?
Was treibt die Menschen - wenn sie es denn wirklich nicht wollen - diese Arbeit zu übernehmen?
Was bewegt sie, auch weitere negative Begleitumstände wie z.B. niedrigen Lohn und geringes Image in Kauf zu nehmen?
Die Antwort liegt in vielen Fällen in der puren Notwendigkeit des Lebensunterhaltes.
Eine gesteigerte Not liegt dann vor, wenn von den Arbeitsagenturen oder ARGEn arbeitslosen Menschen eine solche Arbeit zugewiesen wird, die sie nicht ablehnen dürfen.
Wenn das zutrifft, so bedeutet es nichts anderes, als daß die Not von einzelnen Menschen zum Vorteil der übrigen Gemeinschaft ausgenutzt wird.
Sie werden darüber hinaus auch noch verspottet mit dem Ruf: Sozial ist, was Arbeit schafft!
Hier liegt ein Skandal vor, der durch die Diskussion um das Grundeinkommen einmal mehr zum Vorschein kommt. Er muß völlig unabhängig vom Grundeinkommen abgestellt werden.
Deshalb gilt für notwendige Arbeiten, die sonst keiner machen will:
- besser bezahlen
- gesellschaftlich aufwerten und nicht stigmatisieren
- automatisieren
- selber machen
Nicht das bedingungslose Grundeinkommen ist hier das Problem, sondern schlechte gesellschaftliche Zustände unseres heutigen Systems!