Predigt von C. Schwager, Osterkirche Plön, 28.10.2018


Von der Schöpfungsgeschichte zur Erschöpfungsgeschichte

 
Liebe Gemeinde,

In der Schöpfungsgeschichte wird die Welt den Menschen gegeben, damit sie sie bebauen und bewahren. Doch diesem Auftrag können sie nicht genügen. Gott schickt die Sintflut. Nur Noah und die Arche werden gerettet. Ein profunder Einschnitt, tief wie die tiefsten Wurzeln.
Nach seinem Zerstörungswerk verspricht Gott Noah, niemals wieder die Erde zu zerstören. Er sagt:
Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

So weit die Schöpfungsgeschichte und die erste Zerstörung der Erde.
Nun ist es Zeit, die Erschöpfungsgeschichte zu erzählen, bei der sich die Situation umkehrt: nicht Gott zerstört seine Schöpfung, sondern die Menschen selbst. Und ironischerweise geht das wieder einher mit einem Anstieg der Meere.

Wir verbrauchen als Menschheit weltweit aktuell die Ressourcen und die Regenerationskraft von 1,7 Planeten. Was die Erde in einem Jahr bereitstellt, ist inzwischen schon Anfang August verbraucht. Das ist der sogenannte „Welterschöpfungstag“. Für den Rest des Jahres zehren wir von der Substanz und leben auf Kosten unserer Kinder und Enkel, für die entsprechend weniger übrig bleibt.
Der Lebensstil in Deutschland würde sogar drei Planeten benötigen. Lassen Sie sich das mal auf der Zunge zergehen: drei Erden – und wir haben nur die eine! Wenn wir mit der auskommen wollten, um wieviel müssten wir dann unseren Ressourcenverbrauch verringern? Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten bei dieser komplizierten Rechnung in der Schule gefehlt. Es muss eine wurzeltiefe Veränderung sein!
Wie sähe Ihr Leben aus, wenn Sie den Befund ernst und genau nehmen? 

Eugen Roth hat einen Ausweg gefunden:

	Ein Mensch, der spürt, wenn auch verschwommen,
	er müßte sich – genau genommen - 
	im Grunde seines Herzens schämen,
	zieht vor, es nicht genau zu nehmen.


Nicht einzelne besonders böse oder gierige Menschen sind der Grund für diesen Raubbau. Es ist die Haltung und Denkweise des „immer mehr“, der wir alle unterliegen und der wir wie einem Götzen opfern: unsere Zeit, unsere Zuwendung, unseren inneren Frieden, die Gerechtigkeit. Wir opfern diesem Götzen unsere Zukunft, schlimmer noch: die unserer Kinder und Enkel, wir opfern die Natur, Pflanzen, Tiere, Böden, Gewässer, Klima – kurz: die Schöpfung.
Das System des „immer mehr“ ist das Problem. Und wir haben das „immer mehr“ so verinnerlicht, dass wir eingestehen sollten: Wir selbst sind das Problem, das gelöst werden muss.

Im Gleichnis vom Guten Hirten im Johannes-Evangelium sagt Jesus: 
„Ich bin gekommen, damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen.“  Volle Genüge!

In den letzten Jahren ist immer wieder von der Evangelischen Kirche und anderen gefordert worden: „Es ist an der Zeit für eine Ethik des Genug.“ Auch Papst Franziskus fordert das in seiner Enzyklika „Laudato sí“.

Was aber ist „genug“? 
    • Eine Hand voll Reis oder drei und mehr üppige Mahlzeiten pro Tag? Jeden Tag Fleisch?
    • Sind Sandalen aus Autoreifen genug, ein Ochsenkarren, ein Fahrrad, ein Auto pro Person?
    • Welches Einkommen pro Monat ist genug – 50 Dollar (Afrika), 416 Euro (Hartz 4), 1033 Euro (Armutsgefährdungsgrenze), 2000, 5000 oder lieber 500.000?

Gibt es überhaupt ein genug?
Woran machen wir fest, was „genug“ ist?

Welche Gefühle löst das Wort „genug“ aus? Von außen klingt „genug“ negativ („das ist nun aber wirklich genug“, „jetzt reicht es aber!“). 
Das klingt nach Verzicht. Doch das ist nicht gemeint.
Wenn „genug“ von innen erlebt wird, kann es sehr positiv sein. Es ist das Gefühl von echter Teilhabe und Zufriedenheit. 
Kann ich je zufrieden sein, wenn ich niemals genug habe?
Kann eine Gesellschaft jemals zufrieden sein, wenn sie niemals genug hat?

Genug ist nicht wenig oder viel, es kann nicht durch eine bestimmte Menge beschrieben werden. Für jeden Menschen und jeweiligen Kontext mag es unterschiedlich sein. Und doch haben wir ein deutliches Gefühl, wenn etwas maßlos ist.
Erst wenn es ein „genug“ gibt, kann sinnvoll nach einem „zuwenig“ und „zuviel“ gefragt werden. 
Welche Ethik des Genug steckt in einer Aussage wie „Für die anderen ist Hartz 4 genug – aber für mich nicht.“?
Beides, zuwenig oder zuviel, ist nicht gut. Wir kennen das aus Redewendungen wie „Zuviel des Guten“ oder „Das ist ja mehr als genug“. Optimal ist eben das genug. Und das lässt sich eingrenzen – wenn auch nur angenähert.  

Wenn es ein Genug gibt, kann sinnvoll gefragt werden: und was dann? 
Was soll geschehen, wenn es genug Autos gibt? (Und offenbar haben wir ja genug Autos in Deutschland) Sollen wir die Fabriken schließen? Hm, warum eigentlich nicht?
Was soll geschehen, wenn der gesellschaftliche Reichtum für alle reicht? Noch mehr produzieren? 
Das ist jetzt keine nette Sonntagsfrage, sondern eine gesellschaftlich und ökologisch höchst relevante Frage, die sehr verschiedene Politikansätze nach sich zieht!
Also noch einmal: Was soll geschehen, wenn der gesellschaftliche Reichtum für alle reicht? Noch mehr produzieren oder gerechter verteilen? 

Unser Wirtschaftssystem kennt kein „genug“, sondern statt dessen ein „immer mehr“. Es geht nicht um menschliche Bedürfnisse, sondern um nackte Zahlen, z.B. des Wirtschaftswachstums oder der Einkommenserhöhung.


Manche Menschen fühlen sich unwohl, wenn im Gottesdienst so deutlich auf die Probleme in der Welt hingewiesen wird. Sie sind ja auch sattsam bekannt und meist erfolgreich verdrängt (siehe oben). Und nun soll einem schon wieder der Sonntag verdorben werden?
Nein. 
Schon Jesus Christus hat die Zweifel seiner Zeitgenossen ernst genommen und sie aufgefordert, ausgetretene Pfade zu verlassen, Althergebrachtes in Frage zu stellen, ja selbst ggf. Vater und Mutter zu verlassen und ihm zu folgen – ihm, der von sich selbst sagte „Ich bin das Leben“. 

Modern ausgedrückt heißt das: Es geht auch anders. 
Es gibt ganz andere Formen, wie Gesellschaft und Wirtschaft aussehen können.
Wir sollten keine Angst vor diesen Veränderungen haben, im Gegenteil. Es liegt Hoffnung darin, Freude am Mitgestalten, man kann Chancen und Positives darin entdecken. 
Zukunftsangst ist allenfalls dann berechtigt, wenn wir nichts verändern wollen, denn da zeichnet sich immer deutlicher ab, wohin es führt. 

Im Konzept des „genug“ liegt etwas Positives, es gibt Hoffnung, Zufriedenheit und einen Fingerzeig auf den Weg zur Gerechtigkeit.
Wenn wir dem folgen, der das Leben ist, so kann es z.B. bedeuten
    • ein gutes Leben führen durch Befreiung vom Überfluss
    • aus dem Hamsterrad von Steigerung, Leistung, Arbeit, Produktivität heraustreten und gelassen die Fülle des bereits Erreichten genießen.
    • eine Politik, die sich an Nutzen und Bedürfnissen der Menschen orientiert statt an  Wirtschaftswachstum und nackten Zahlen

Und vielleicht hat Jesus Christus auch an das Genug gedacht in seiner Bitte „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Er bat nicht um mehr Brot oder gar jedes Jahr z.B. 5% mehr Brot. Er bat darum, dass wir alle genug haben mögen.
Und wir haben tatsächlich das Leben in Fülle. Es ist wirklich genug für alle da – aber nicht „zuviel“ und nicht „immer mehr“.

Amen.